Fotos Nicole Heidel
Lyrik in Linien und Farben
Dr. Lieselotte Sauer-Kaulbach
Selbst wenn immer wieder seine Gedichtbände ins Deutsche übersetzt wurden (und das teilweise ganz vorzüglich, nämlich von Alfred Kuoni): So richtig ins allgemeine Bewusstsein der Literaturszene in Deutschland rückte Robert Lax, im Alter von 85 Jahren 2000 verstorbener amerikanischer Dichter, Publizist, Kind jüdischer Einwanderer aus Österreich, nicht. Dabei ist er einer der letzten Poeten der klassischen Moderne, wie etwa Dylan Thomas, T. S. Eliot und Allen Ginsberg, darüber hinaus ein Weggefährte der Beatnik-Dichter um Jack Kerouac, ein enger Freund des Malers Ad Reinhardt und des dichtenden Trappistenmönchs und Religionsphilosophen Thomas Merton.
Lax war, u. a., Drehbuchschreiber in Hollywood, Filmkritiker in New York und Clown in einem italienischen Wanderzirkus, dem Zirkus Christiani, mit dem er durch Kanada tourte. Ab den 60er Jahren lebte er in Griechenland, die letzten 25 Jahre auf der kleinen griechischen Insel Patmos, einerseits zurückgezogen und anspruchslos wie ein Eremit, andererseits doch in stetem Kontakt mit der Welt. Der Welt, respektive seinen Freunden, Kollegen und Verlagen schickte er, fein säuberlich in Plastik verpackt, immer wieder neu entstandene Texte, mit denen sie dann anfangen durften, was sie mochten, entweder wie veröffentlichen oder einfach für sich behalten.
Unter den Texten waren auch zahlreiche Gedichte, wie Sie eines schon von der Einladung zu dieser Ausstellung kennen. Gedichte auch wie das folgende aus einem seiner letzten, „Lax-ness“ betitelten Gedichtbände.
„he wasn´t very hot on crime,
but how he love´d organization“
In Übersetzung (von Kuoni)
„auf das verbrechen gab er nicht viel,
aber er liebte das organisieren“
Oder, gleich in Übersetzung:
„weiss nicht, was ich ihm gesagt haben mag,
sagte das orakel,
aber er schien überhaupt nicht glücklich.
Und ein Drittes, das Sie in dieser Ausstellung nachlesen können:
this ist the afternoon/ a time/ to make a poem/ of the afternoon/ the afternoon/ is making/ a poem/ of itself
Robert Lax' minimalistische, aber, wie Sie eben hören konnten, keinesfalls notwendig hermetische oder einseitig intellektualisierte Dichtung lebt von der höchstmöglichen Verdichtung von Sprache. Gerade auch das zuletzt zitierte Gedicht ist, wie ich finde, im Gegenteil sehr sinnlich, man kann sich vorstellen, wie sein Schöpfer an einem sonnigen Nachmittag auf Patmos in einem schattigen Garten saß, den Blick in die Landschaft, übers Meer schweifen ließ. Ein Nachmittag wie der, den Claude Debussy in seinem „L'apres-midi d'un Faune“ in Tönen einfing.
Manchmal, wie bei dem Gedicht auf der Einladungskarte, bleiben von Sätzen, Satzphrasen nur noch einzelne Worte, einzelne Silben übrig, so etwas wie die Essenz von Sprache, einer Sprache, bei der, wie in der Musik von John Cage, auch das Nichtgesagte, die Pause mindestens ebenso bedeutsam sein kann wie das Gesagte, das wirklich zu Hörende.
Es ist wahrscheinlich oder sogar ganz sicher eben diese totale Reduktion und Verdichtung von Sprache, die Beni Cohen-Or seit langem zu einem Fan der Lax-Lyrik macht, entspricht doch eben diese Verdichtung, diese Reduktion genau demjenigen, was Cohen-Or selber will, dann, wenn er, wie in den letzten Jahren sogar zunehmend, schreibt, aber auch dann, wenn er als bildender Künstler zeichnet, malt oder plastisch arbeitet. Dass seine eigene Biographie teilweise ebenso abwechslungsreich ist wie diejenige von Robert Lax, mag die Sympathie für seine Gedichte noch verstärkt haben. Beiden gemeinsam ist schon die jüdische Herkunft; der 1940 in Bagdad Geborene kam bereits 1951 mit seinen Eltern nach Israel,machte ab 1963 eine dramaturgische Ausbildung im Schauspielstudio Nissan Nativ in Tel Aviv, studierte dann an der dortigen School of Art, bevor er ab 1970 etwas ganz Anderes machte, nämlich als Boxtrainer am Wingate-Institut für Körperliche Erziehung in Natanya arbeitete. Mit dem Krafttraining hatte er schon erheblich früher begonnen, 1956. Trotzdem etablierte er sich ab 1971 auch als freier Künstler, siedelte 1980 in die Bundesrepublik über, kam 1988 nach Bendorf, wo er nach wie vor lebt und arbeitet – seit 2013 als Verleger seiner eigenen Werke, vor allem seiner Gedichte.
Gedichte wie dasjenige, das er 2009 „in Dankbarkeit für Israel“ schrieb. Es ist, wie ich meine, ganz bezeichnend für sein Selbstbewusstsein, das ihn glücklicherweise auch in schwierigen Momenten seines Lebens nicht verlassen hat:
„Ich bin/ BENI COHEN-OR/ Die Zeit/ ist in meiner Hand. //Ich bin/ BENI COHEN-OR/Die Freiheit/ ist in meiner Hand.
Ganz anders dagegen die Gedichte seiner verstorbenen Frau Maria Baldus, der er mit den von ihm verlegten Büchern auch ein liebevolles Denkmal errichten wollte. Ich habe sie als überaus bescheiden, zurückhaltende Frau kennengelernt, eine Frau, die die eigene Person immer zurückstellte, auch hinter die ihres Mannes (dass er sie einmal jahrelang aufopfernd pflegen würde, konnte sie da noch nicht ahnen). Etwas von dieser Bescheidenheit, aber auch ein offener, für die Schönheit der einfachen, vermeintlich selbstverständlichen Dinge empfänglicher Blick schwingt mit in ihrem Gedicht, das Ellen Ross ebenfalls in diese Ausstellung integriert hat:
„Ein Haus ist ein Haus,/ ein Weg ist ein Weg./ Doch die Farbe Blau/ ist nicht nur blau/ Sie ist/ Enzian/ und/ Kornblume/ leuchtendes Kristall/ Meer/ und Firmament/ Widerschein von Sehnsucht/ nach Unendlichkeit und /Glück“.
Der Vierte im Dichterbunde dieser Ausstellung ist Eugen Gomringer, mit dem Beni Cohen-Or seit langem befreundet ist. Der 1925 in Bolivien geborene Schweizer Gomringer ist so etwas wsie der Vater der ja ihrerseits, wie die minimalistischen Gedichte von Robert Lax, mit einem ganz begrenzten Inventar auskommenden, Worte teilweise tatsächlich zu Bildern formenden konkreten Poesie - auch hier haben Sie das konkrete Beispiel direkt vor Augen, nämlich das Gedicht „Wind“, das nur aus den vier Buchstaben dieses Wortes besteht, die wie vom Winde verweht worden sein scheinen. Für mich ist eines der perfektesten Gedichte der konkreten Poesie Gomringers „schweigen“, ein Gedicht, was nichts anderes tut, als eben dieses Wort vierzehnmal zu wiederholten, sechsmal in zwei Zeilen oben, sechsmal in zwei Zeilen unten, zwischen drin, in der dritten Zeile, das Wort links und rechts und mittendrin eine Leere, die bildhaft für das Schweigen steht.
Gomringer selber definierte die konkrete Poesie einmal folgendermaßen: „die konkrete poesie unterscheidet sich von anderen richtungen der dichtung dadurch, dass sie die poesie als grosses geistiges spielfeld erklärt und den poeten darin als regelgeber und schiedsrichter einsetzt.“
Beni Cohen-Or ist ein solcher Regelgeber oder Schiedsrichter nicht nur in seinen Gedichten, sondern auch als bildender Künstler, als Schöpfer einer Welt aus Farben, Formen und Rhythmen, die einer eigenen, immer wieder neuen und trotzdem kontinuierlichen Ordnung oder Gesetzmäßigkeit gehorcht. Einzige Ausnahme sind die frühesten, aus den 70er Jahre stammenden Tusche-Zeichnungen. Sie fallen ganz aus dem Konkreten heraus mit ihren figürlichen, gegenständlichen Elementen, die sich aus teilweise ganz verdichteten schwarzen Flächen herauslösen zu wollen scheinen oder von ihnen auch wieder verschluckt werden.
Ganz anders die Werke, die ab den 80er Jahren entstehen. Beschränkt auf wenige, allerdings starke Farben, auf ein Formeninventar, das seine Verwandtschaft mit den Ursprüngen der konkreten Kunst, seine Beziehung zu Malewitsch, Alberts etc. nicht verleugnen kann und will, beherrscht vom Quadrat, vom Rechteck. Zunächst tauchen diese Vierecke pur auf, oft gleich mehrfach in einer Arbeit. Zerteilt beispielsweise der Künstler die rechteckige Grundfläche eines Bildes in mehrere, vertikal oder horizontal angeordnete, unterschiedlich farbige Rechtecke. Später geht er noch einen Schritt weiter, wagt sich weiter vor, kippt die Rechtecke oder die Quadrate, stellt sie als Raute auf die Spitze, lässt, wie etwa in einer Reihe von Blau und Orange dominierten, Kühle und Wärme einander gegenüberstellenden Bildern, die Ausgangsform teilweise auch nur noch vom Rand her in Teilen aufblitzen, als vergleichsweise kleines Segment. Da kommt Bewegung ins Spiel, Bewegung, die, genau wie die Farbe, diese Arbeiten mit einer Emotionalität auflädt, die mit allen Vorurteilen von wegen einseitig rationaler Kühle der konkreten Kunst aufräumt.
Vielleicht sind diese Arbeiten, in denen Rechtecke oder Quadrate gewissermaßen zu Randerscheinungen werden, ja auch ein Schritt auf dem Weg zur Linie, die etwas später ebenfalls Eingang in die Werke Beni Cohen-Ors findet. In Bilder wie das gelb-blaue, das fast an eine Art Schaltplan erinnert. Hier verbindet die rechtwinklig gezogene Linie mehrere auch linear umrandete Flächen, die ansonsten frei zu schweben scheinen, miteinander. Das lässt, auch der strahlenden Farbigkeit halber, an Mondrian denken. Dass der Künstler irgendwann dann die Grenze von der Zweidimensionalität ins Dreidimense tut , dass er irgendwann seine Linie auch räumliche Gestalt annehmen lässt, beispielsweise in etlichen Objekten, die Teil dieser Ausstellung sind, ist eigentlich nur eine Frage der Zeit.
Auch, dass er die Linie in einer ganzen Serie von Arbeiten auf Papier nun in einer ihrerseits minimalistischen Form einsetzt, reduziert auf einen dünnen Graphitstrich, den allein das Schimmernde, Glänzende des Materials überhaupt erst wahrnehmbar macht. Tatsächlich sind ja auch diese Arbeiten, im Gegenteil zu den leuchtenden Bildern, in der Farbigkeit zurückgenommen, wenn Sie so wollen, auf dunkles Moll heruntergedimmt. Gebrochene, pudrige Farbtöne dominieren, verbreiten geheime Melancholie und anheimelnde Wärme zugleich, mildern die Strenge der geometrischen Form, die auch in ihnen das Feld dominiert.
Hier ist Beni Cohen-Or schon auf dem Weg zu den Arbeiten, die in den letzten Jahren entstanden sind. Zeichnungen, die ganz aus und von der Linie leben. Und damit kommen wir auch wieder genau bei unserem Ausgangspunkt an, bei der Literatur. Denn bei etlichen dieser neueren Zeichnungen verdeutlicht schon der Titel „Sonett“ die direkte Bezeichnung der bildenden zur dichtenden Kunst, bei den anderen bewerkstelligt dies die Form allein. Linien oder Zeilen sind ja in den Zeichnungen und in den Gedichten von entscheidender Bedeutung. Bei den „Sonett“ betitelten Zeichnungen sind diese Linien entweder gezeichnet oder als Punkte in das Papier geprägt, Punkte, die für Buchstaben oder Silben von Wörtern stehen könnten, die, wie die-Braille-Schrift, einladen, sie mit den Fingern zu erspüren, zu ertasten.
Bild gewordene Gedichte sind auch die anderen der neueren Zeichnungen Beni Cohen-Ors, geschaffen mit Blei- und Farbstiften. Arbeiten, die ebenfalls etwas Textiles haben, etwas von einem Gewebe und die, im Gegensatz zu den „Sonetten“, manchmal wieder regelrecht in leuchtenden Farben schwelgen, so, wie früher die Bilder Beni Cohen-Ors. Teilweise haben sie auch Titel, etwa „Abend am Strand“, die nicht weniger poetisch sind als der griechische Nachmittag des Robert Lax. Da schert sich Beni Cohen-Or erfreulich und erfrischend überhaupt nicht mehr um konkrete Glaubenssätze, die da fordern, dass Kunst nicht über sich hinaus verweisen, sondern nur als von jeglicher Beziehung zur Realität freie Sache existieren dürfe und solle. Diese Zeichnungen sind zwar einerseits sehr rational, andererseits aber auch höchst emotional, ihrer Farbigkeit halber, mit ihrem Kontrast von fein säuberlich horizontal und vertikal gezogenen und anderen Linien, die flächig, bartartig ausfransen, die sich einerseits in die Ordnung einfügen, andererseits diese sprengen und gerade durch dieses Sprengen auf sie aufmerksam machen.
Gedichte aus Farblinien, wenn Sie so wollen, in denen die Farbe die Worte ersetzt. Zeichnungen, wie sie wohl nur ein Künstler schaffen kann, für den die Lyrik seit langem fester Bestandteil seines Lebens ist (was sich u. a. auch in den Titeln vieler Bildkompositionen spiegelt, die beispielsweise William Blake oder dem Peruaer Cesar Vallejo, der als einer der bedeutendsten poetischen Neuerer der spanischen Sprache im 20. Jahrhundert gilt, gewidmet sind). Einer, der mit Farbe, Formen und Worten arbeitet und aus ihnen seine eigene Welt, seine eigene Ordnung entstehen lässt. Und den Gedichten ein eigenes Gedicht widmet, eines der von ihm entwickelten „Visitenkarten-Gedichte“, die ja schon im Kern klarmachen, dass sich hier keiner hermetisch verschanzen, sondern Kontakt aufnehmen will. Ich möchte Ihnen dieses Gedicht zum Schluss noch vortragen:
„Mein Gedicht
braucht keine
Erklärung.
Es liegt auf dem Tisch
und lächelt.
Lächelt, ohne
Erklärung.
Lassen Sie sich, meine Damen und Herren, nicht nur von den Gedichten, sondern den Bildern, Zeichnungen und Skulpturen Beni Cohen-Ors anlächeln, treten Sie in Kontakt mit ihnen.
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